Lessings Humanitätsdrama gilt als ein vorbildlich moderates Werk, perfekter Lehrstoff für die gymnasiale Oberstufe. Es lohnt aber auch, den naheliegenden Versuch den Nathan mit dieser gekürzten Fassung in aktuelle Identitätsdebatten einzubinden, ihn als moderne Erzählung auf die Höhe heutiger Konflikte zu führen, die ja kaum weniger virulent sind als Lessings Debatten aus der Zeit der mittelalterlichen Kreuzzüge.
„Vor gut zweihundert Jahren träumte der Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing davon, dass Juden, Moslems und Christen friedlich neben- und auch miteinander leben. Er hoffte, dass sich die Menschen allein als Menschen begegnen, unabhängig davon, welcher Religion der Einzelne angehört. Auf der Suche nach dem Menschen, ‚dem es gnügt, ein Mensch / Zu heißen‘ (V. 1312f.) schrieb er sein berühmtestes Drama NATHAN DER WEISE, das 1779 erschienen ist. Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten war der 'Nathan' verboten; nach Kriegsende eröffneten viele Theater ihre Spielzeiten mit dem ‚supranationalen Wiedergutmachungsstück‘ (H. Göbel). Eine Inszenierung im 21. Jahrhundert muss die tagespolitischen Ereignisse berücksichtigen: Noch immer werden Kriege unter dem Vorwand des Glaubens geführt; Lessing schläft und träumt bis in die Zukunft.“ (Theater Dortmund)
‚So alt der NATHAN ist, die Uraufführung war im April 1783 in Berlin, so aktuell ist er auch. Eingeblendete Zusammenschnitte aus aktuellen Nachrichtenmagazinen beweisen, dass ein Frieden zwischen Religionen nicht möglich scheint. Nicht vor dem Hintergrund der Religionen – ohne den religiösen Hintergrund auch nicht. Frieden auf der menschlichen Ebene scheint es nicht zu geben, da zu wenige bereit sind, von ihrer Religion zu lassen. […] Am Ende wird klar: Fünf Menschen, die ihre Vorurteile begraben, sind leider nicht genug.“ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 25.04.04)