„Jan Sobrie versteht es, realistisch, ohne Larmoyanz oder Sentimentalität, mit knappen Sätzen eine Atmosphäre zu schaffen, die unter die Haut geht.
Die beiden Kinder, deren Familien von Armut bedroht sind, erleben, wie zu Hause und in der Schule alles ‘kleiner und kleiner und kleiner‘ wird. Sie verbünden sich, gewinnen Selbstvertrauen, formulieren sich, lehnen sich auf. Der Traum von einem schönen Leben beflügelt sie. In der Schlussszene sitzen die Kinder an einer märchenhaften Tafel und prosten sich zu.“ (Barbara Buri)
„Willkommen im Club. Im ‘Du sitzt in der Scheiße-Club‘. So begrüßt Sammy den neuen Jungen Ebenezer auf der Straße in einem düsteren Wohnviertel. Sammy und Ebenezer kennen einander ‘vom Sehen’ aus der Schule. Ebenezer ist klug und kommt aus einer Bildungs-Familie; Sammy ist rau, lebhaft und hat Probleme mit dem Lernen und dem Sozialverhalten. Aber sie ist ehrlich: ‘Du bist komisch, und ich bin dick‘. Blitzschnell freunden die beiden sich an. Ebenezer war gezwungen, mit seinen Eltern in das armselige Hochhaus umzuziehen, wo Sammy auch wohnt. ‘Es ist nur für eine kurze Zeit‘ hat sein Vater gesagt, aber darüber lacht Sammy. ‘Das hat mein Vater auch gesagt‘.
Die zwei Kinder erzählen einander ihre Geschichte: Eltern mit immer mehr Problemen, Entlassung, Zahlungs-Aufforderungen, Krach und Tränen, und irgendwann wurde alles kleiner und kleiner. In Ebenezers Leben ging es abwärts: was Luxus und Komfort anging, schrumpfte seine Welt zusammen, bis er keine Luft mehr bekam. Dies wird im Stück sehr anschaulich beschrieben, weil die Eltern im Verlauf ihres Deprivationsprozesses in den Augen des Kindes wörtlich schrumpfen, bis sie fast unsichtbar geworden sind. „Wir verstehen es auch nicht. Aber bei jedem Umschlag, den wir öffnen, schrumpfen wir ein bisschen … Miete, Elektrizität, Telefon, Wasser … alles wird zu teuer.
In klaren Bildern erzählt auch Sammy ihre Lebensgeschichte. Wie ihr Vater seinen Job verlor, ihre Mutter starb, und dass sie nicht versteht, warum alles so läuft, wie es läuft. Sammy lebt mit einem Papa, der trinkt und von sich selbst sagt: ‘Ich existiere nicht mehr‘.
Ein einsames Leben, das sie mit viel Energie und selbstgeschriebener Poesie zu bekämpfen versucht.
Als klar wird, dass Sammy und Ebenezer nicht mit auf die Klassenfahrt, die Ski-Woche kommen dürfen, weil die Eltern die Kosten nicht tragen können, reagieren die Kinder zunächst mit Schmerz und Wut. Aber dann fassen sie den Entschluss, von nun an in der Schule nicht mehr zu sprechen. Das zeigt sich als ein effektives Machtmittel in der Klasse. Als aber ein Gedicht von Sammy vom Lehrer öffentlich verlesen und lächerlich gemacht wird, bricht sie ihr Schweigen und schreit ihren Schmerz heraus: Sie zählt auf, was sie alles im Leben vermissen muss, weil ‘wir es nicht bezahlen können‘. Ebenezer entdeckt erst jetzt, dass Sammy in Wirklichkeit nicht im Hochhaus, sondern mit ihrem Vater in einem Auto lebt; die Wohnung, in der er mittlerweile mit seinen Eltern wohnt, mussten Sammy und ihr Papa räumen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen konnten.
Dennoch: Die Kinder sind Freunde fürs Leben; sie ziehen einander durch alle Probleme, obwohl es schmerzhaft klar ist, dass sie keine wirklichen Antworten auf die Herausforderungen dieses Daseins haben, dass sie keinen Halt finden in der Abwärts-Spirale, in der sie gefangen sind. Trotzdem scheint der Text zu sagen: Kämpfen hat schon Sinn! Und das machen sie auch. Sammy und Ebenezer sind beeindruckend und anrührend in ihrer ‘wilden Suche‘ (hun woeste zoeken) zu überleben.
Woestzoeker ist wieder ein origineller Theatertext vom Autoren-Duo Sobrie und Ruëll, das 2015 erfolgreich ‘Bekdichtzitstil‘ (deutsche Übersetzung von Barbara Buri: ‘Shut up‘) herausbrachte. Mit diesem Text Woestzoeker treffen sie erneut ein großes Thema: die wachsende Armut in Familien, und wie dies das Leben der Kinder beeinflusst. Ein sozial-realistisches Thema, mit der Schule als schmerzvolle, kalte Umgebung, die soziale Ungleichheit verfestigt oder sogar vergrößert. Die Themen Armut, Klassenbildung und Ausgrenzung sind sehr stark sichtbar und spürbar gemacht, ohne sie zu platt zu benennen. Der emotionale und humorvolle Text ist nicht nur ‘aus dem Leben gegriffen‘, er lädt den Leser auch ein, das magische Denken der beiden Kinder zu begleiten. Die Probleme sind komplex und tun weh; sie bringen einen zum Nachdenken über Kinder in der eigenen Umgebung.“
(Begründung der Jury, Kaas&Kappes, 2019)